Von Schreiborten & Schreibritualen
Die meistgestellte Frage meines Autorinnenlebens kennt ihr ja bereits? Nein? Dann einfach unter: https://www.hauptsache-geschichten.com/hauptsache-persoenlich weiterlesen. Hier möchte ich Euch erzählen, wo ich am liebsten schreibe und ob und welche Rituale ich dabei pflege.
Mein Schreibtisch
Ja, ich habe einen Schreibtisch. Der steht in meinem Wohn- und Arbeitszimmer. Neben und hinter mir hängen – seit ich an Fremde Wellen arbeite, also inzwischen drei Jahre! – Fotografien aus den 1950er Jahren und von meinen Recherchereisen den wichtigsten Orten, die mich inspirieren: vom Flensburger Hafen in den 1950ern , einer Rum Brauerei, dem Rotlichtviertel und Hafenkneipen. Das Ehrenmal in Laboe, (wo Hilde jeden Monat auf Ernst-August wartet, Grenzsoldaten an der dänischen Grenze, Werbung einer Hamburger Werbeagentur, und, und, und. In einem Stadtplan habe ich die wichtigsten Orte markiert: Hildes Welt in „Klein Königsberg“ (Mürwik), die Geschäfte am Nettelbeckplatz, ihre Wohnung, Fredis Arbeitsstätte in Krusau, der dänischen Grenze, Lilos Welt auf der anderen Seite des Hafens. Einen Stammbaum für alle habe ich gemalt. Grundrisse der Wohnungen gezeichnet. Karteikarten für alle Figuren angelegt. Und Ordner voller Zeitungsartikel und anderem Recherche Material aus dem Jahr 1958.
Aber dort schreibe ich zurzeit selten. Besonders, seit ich Corona bedingt im Homeoffice dem Brotjob nachgehe und viele Tage dort arbeite. Am liebsten schreibe ich am Meer, ich bin und bleibe eben ein Fischkopp, auch nach Jahrzehnten in Berlin. Mein größter Luxus sind die Schreibreisen ans Meer, die ich mir den letzten zwei Jahren gegönnt habe. Ganze Tage am Atlantik, der Nordsee oder der Flensburger Förde an meinem ersten Roman „Fremde Wellen“ oder an Erzählungen zu arbeiten, finde ich herrlich! (mehr dazu unter https: www. hauptsache-Geschichten.com/ Schreibreisen) In der übrigen Zeit schreibe und überarbeite ich mit Blick in den Himmel von Berlin, links. Im Bett. Mit meinem Laptop.
Meine Schreibrituale
Wichtiger als Schreiborte sind mir Schreibrituale. Ich schreibe am liebsten – und auch am stärksten – in den frühen Morgenstunden. Jeden Morgen! Ja, jeden. Egal wie müde ich bin. Der Wecker klingelt kurz vor sechs Uhr, ich mache mir einen grünen Tee, krieche zurück ins Bett, klappe den Laptop auf und tauche ein in „Fremde Wellen“ oder andere Geschichten. Moin Protas, moin Musen, die mit etwas Glück auch schon wach sind. Manchmal fließen Traumbilder ein. Manchmal kaue ich an einem Wort. Oft feile ich. Schreibe eine Seite, überarbeite zwei. Habe das Gefühl, gerade dann, wenn ich im Flow bin, zwingt mich der zweite Wecker aufzuhören. Hallo ruft der Brotjob. Immerhin aber beginne ich den Tag mit dem, was ich am allerliebsten mag und wohl auch am besten kann. Dann erst kommen Alltag und der reale Irrsinn.
Es hat sich viel verändert seit ich täglich schreibe. Die Dämonen namens „Ich kann das nicht“ und „Das ist doch alles Mist“ halten ihre Klappe. Nicht immer, aber meistens. Klar, es ist auch mal Mist dabei, aber ich schreibe! Ehrlich gesagt, ist es viel weniger Mist als noch vor zwei Jahren. Learning by writing. Schreiben ist Küssen im Kopf, ist Lachen, Weinen, Hoffen, Bangen in der Phantasie – und ganz viel Handwerk! Technik schadet ja auch beim Küssen nicht, oder? Und nur aus einem schlechten Text kann ein guter werden, nicht aber, wenn die Seiten gähnend leer sind. Manchmal habe ich keine Lust auf Hilde, dann wechsele ich zu Lilo (und umgekehrt, kein Grund, sich aufzuregen, Hildchen). Manchmal mag ich nicht in die 1950er Jahre reisen, dann schreibe ich an einer Geschichte. Hautsache, ich fange an und schreibe. Hauptsache Schreiben!
Küsst mich die Muse, will ich schreiben…
Musen küssen viel seltener als ersehnt. Meine küssen mich manchmal auf Balkonien, im Berliner Himmel, links. Von Mai bis September. Im Herbst, wenn die Sonne Urlaub macht, treffe ich sie ab und an an der Spree im Tiergarten. Bei jedem Wetter und zu allen Jahreszeiten finde ich sie am Meer, egal ob an der Nordsee, der Ostsee oder am Atlantik. Dort leben sie in den Wellen, dem Wind, dem Wasser. Leider sind Musen unberechenbar, das liegt wohl in ihrer Natur. Sie kommen nur, wenn ich mit der Seele baumle, in Wolken schaukele oder Wellen zähle. Niemals, wenn ich auf sie warte. Schon gar nicht, wenn ich sie überlisten will. Gnadenlos, richtige Musenbiester, so sehr ich auch meinen norddeutschen Charme spielen lasse. (Ja den gibt es)
Muse Frühtau zu Meere auf meiner Zunge schmeckt nach Träumen und Anarchie. Küsst mich Frau Sonne mit flirrendem Atem, schmelze ich wie neuerdings die Eisberge am Polar. Die Küsse von Frau Meer branden meine wüstentrockenen Lippen, fluten mein verdurstes Herz. Vergessen ist die kommende Ebbe. Übermütig knutscht Herr Brise Gänse auf meine Haut. Verspricht mir Himbeereis zum Frühstück. Herr Himmel lullt mich ein mit seinen tiefblauen Küssen, Flugzeuge grummeln in unseren Bäuchen. Frau Vollmond küsst die Nacht zum Morgen, das Gestern zum Heute. Nur Jetzt. Nur er. Nur sie. Und ich.Immer will ich, dass sie bleiben. Da sind sie schon wieder weg. Ich weiß nicht mal, ob sie meine Geschichten mögen. Rotwein schon, aber den kriegen sie sicher bei vielen Autor*innen.