Unter den Wellen – Kurzgeschichte von Laszlo Hartmann

„Unter den Wellen“ – Sidekick zu „Fremde Wellen“

Erschienen in der Anthologie: Von Höhenflügen und Abstürzen. Himmelhoch, Abgrundtief

Herausgeberin: Deborah B.Stone, Forum Wort Berlin, Periplaneta Verlag, 2021

ISBN: 9783959962155

Unter den Wellen handelt von einem Danziger Apotheker, der im Januar 1945 den Untergang der Wilhelm-Gustloff am Ostseegrund „überlebt“. Einsam und verzweifelt baut er aus Leichenteilen seine geliebte Ehefrau Hilde nach, ein fataler Fehler! Denn die von ihm erschaffene Kreatur entpuppt sich als herz-und hirnloses Naziweib, die – zusammen mit einem anderen Überlebenden der SA – unter den Wellen ein Viertes Reich errichten will. Oder war das alles am Ende nur der Traum eines Ertrinkenden? 

Von der Idee bis zur Kurzgeschichte in der Anthologie „Von Höhenflügen und Abstürzen – Himmelhoch. Abgrundtief.“

Entstanden ist die Idee zu „Unter den Wellen“ im Schreibhain, Berlin. Im Rahmen eines Wochenendes zum Thema Fantasy/ Science Fiction ging es auch um Weltenbau. Die Aufgabe war es, eine fantastische Welt zu kreieren bzw. aufzumalen – und wer mich kennt, weiß, was dann erstmal kam: Bockiges „Das kann ich nicht.“ „Ich schreibe keine Fantasy.“ „Und was bringt mir das dann?“ Ich will am Roman arbeiten!“ Die Unterlippe schwer vorgestülpt. Doch dann hatte ich eine Idee und ich malte:

Der Untergang der Wilhelm-Gustloff – das größte Schiffsunglück aller Zeiten

Der Untergang der Wilhelm-Gustloff am 30.01.1945 spielt eine große Rolle in meinem Roman „Fremde Wellen“. Denn Hilde beharrt auch13 Jahre später störrisch darauf, dass ihr geliebter Ernst-August – der es auf die Gustloff schaffte und seitdem vermisst wird – die Schiffskatastrophe überlebt hat. In ihren Träumen sucht Hilde nach ihm unter den Wellen.

Schnipsel aus Hildes Träumen aus „Fremde Wellen“:

Eiswürfeltränen treibender Wind peitscht Bluthagel über das sinkende Schiff, Wellen bäumen sich auf, ducken sich, bevor sie erstarren. Schneewehe, Seele wehe, Augen aus Eis spiegeln wehe. Er ruft sie. Er lebt!
Eine Möwe zerbirst klirrend, sie will schreien, doch ihr Nein gefriert mit ihrem Atem. Hart landet sie auf einer Eisdecke, in die ein Muster aus Tod gefroren ist, abgetrennte Arme, gestorbene Füße. Da ihr Teddybär. Da seine blaue Strickjacke. Da er unter der Eisdecke. Er lebt!

aus „Fremde Wellen“ von Laszlo Hartmann

So ist die Idee von seinem „Überleben“ am Ostseegrund entstanden und ich stellte mir die Frage: Was wäre, wenn Ernst-August seine Hilde genauso vermisste wie sie ihn? Ich schrieb die Rohfassung, arbeitete weiter an „Fremde Wellen“ und als wir uns in meiner Autor*innengruppe Forum Wort auf das Themenpaar Himmelhoch – Abgrundtief einigten, kramte ich den Entwurf wieder heraus und schrieb und überarbeitete. Unter den Wellen ist die absurdeste, makaberste Kurzgeschichte geworden, die ich bisher geschrieben habe. Nichts für schwache Nerven!

So beginnt die Kurzgeschichte „Unter den Wellen“:

Es rumorte nicht einfach. Es donnerte nicht nur, wie die sicher millionenfach in diesem verfluchten Krieg gehörten Trommelfelle zerfetzenden Gewehrsalven. Leben detonierte. Das Menschsein. Das Ich. Das Wir. Alles zerbarst. Sogar die Liebe zu dir, wenn auch nur für einen Moment, das schwöre ich. Der Himmel schwoll und zersprang. Wellen explodierten. Heul Hitler. Heul.
Das Schiff verneigte sich vor Tod oder Teufel. Schwer, passende Worte zu finden. Alle bagatellisieren sie das Inferno.

Und noch ein Ausschnitt aus „Unter den Wellen“:

Ordnung war, als schmetterte ich sozialistische Lieder gegen Angst und Einsamkeit, und summte sie nicht nur.
Drum links, zwo, drei, drum links, zwo, drei, wo dein Platz, Genosse, ist.
In einer Handtasche fand ich einen Spiegel und erschrak. Mein Gesicht war nicht mehr mein Gesicht. Es war von Fischschuppen überzogen. Mein Bart, den ich oben immer sorgfältig gestutzt hatte – weil er dich sonst kitzelte – war voller Seegras, Krill, Plankton. Schlimm. Schlimmer war, dass in meiner rechten Augenhöhle eine Qualle steckte, aus der Familie der gewöhnlichen Ostseequalle, Aurelia aurita. Dort wo einmal das täuschend echte Glasauge gewesen war. Doch das war noch nicht das Schlimmste. Nichts im Blick dieses irren Einäugigen deutete noch auf den Mann hin, der ich einmal gewesen war. Kein starker Mann vielleicht, aber ein guter. Einer, der an etwas glaubte. Einer, den du geliebt hattest. Du fehltest mir. Sehr!

Ich wusste nur noch, dass deine Ohren die Farbe von Marzipan gehabt hatten und süß schmeckten, wenn ich sie küsste. Ich nahm jedes Ohr prüfend in die Hand. Ich musste Kompromisse machen. Alles war besser als diese unerträgliche Einsamkeit. Dachte ich.

Ach ja, die Liebe…

Lesermeinungen zu „Unter den Wellen“ von Laszlo Hartmann

Was für eine wunderbare Geschichte! Für mich eine große Liebeserklärung des mit dem Schiff untergegangenen Erzählers an seine Hilde. Deren Brüste nicht mehr gen Himmel stehen, sondern es sich auf ihrem Bauch gemütlich gemacht haben. Ich liebe diesen Satz. Zudem ist sie ein Aufschrei gegen Krieg und Diktatur, höchst aktuell – wann stehe ich auf, leiste Widerstand, auch wenn es mein Untergehen bedeutet? Für mich sind zudem die Parallelen zu Mary Shelleys Frankenstein unübersehbar: Die Schaffung eines Wesens (auch noch, wie bei Shelley, aus Leichenteilen), das dem Erbauer über den Kopf wächst…. Sprachlich auch sehr fein, gefallen hat mir die Klammer vom Anfang zum Ende vom detonierenden Leben, dem Menschsein, dem Ich, dem Wir. Wobei das Ende mich verstört zurück lässt. Absicht?

Lady Rosewood, LovelyBooks

Ich liebe skurrile Geschichten mit (sprachlich) großen Bildern. Das hier war ein lustiger, unheimlicher Volltreffer.  Die Liebeserklärung an Hildes Brüste werde ich noch eine ganze Weile im Kopf behalten.

Der Text selbst schreit, kämpft, windet sich – scheint vom Ich-Erzähler voll Wut über das eigene Versagen in einem Zug geschrieben. Viele Zitate von Brecht über Nietzsche bis zu O-Tönen aus dem nationalsozialistischen Liedgut fügen sich geschmeidig ein. Ich finde es eine faszinierende Idee den Menschen im Schattenreich des Todes zu einem Schöpfergott zu machen und ihm so die Gelegenheit zu geben, Versäumtes wieder gut zu machen.

Martina, LovelyBooks

Mehr über „Unter den Wellen“ gibt es hier: Lesung von Forum Wort im Haus der Sinne, Berlin

©Laszlo Hartmann

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