Fremde Wellen ist nicht meine Familiengeschichte
auch wenn vieles ähnlich ist und das bei einem ersten Roman auch naheliegt.
Heimatverlust und Heimatsuche
sind brandaktuelle Themen und ebenso universell wie zeitlos. Die großen Fragen wie:
- Gibt es Heimat im Plural?
- Wie kann es gelingen, in der Fremde Fuß zu fassen?
- Und was muss Altes losgelassen werden, um Neues erwarten zu können?
stellen sich nicht nur Geflüchtete heute, diese Fragen trieben nach dem zweiten Weltkrieg auch die aus den Ostgebieten Vertriebenen um.
Schon erstaunlich, dass es erst der syrischen „Flüchtlingswelle“ bedurfte, um mich noch einmal ganz neu und sehr intensiv damit zu beschäftigen, wie sehr es mein Leben geprägt hat, Tochter einer Vertriebenen zu sein.
Meine Familie mütterlicherseits
stammt aus Danzig und ich bin mit den Sehnsuchtsgeschichten über die verlorene Heimat aufgewachsen. Meinen Sozi-Opa, der genau wie Ernst-August aus „Fremde Wellen“ ein Glasauge hatte, aber sonst wohl ganz anders war, kenne ich nur aus Erzählungen, er starb vor meiner Geburt. Über die Schrecken der Flucht wurde bei uns wenig gesprochen und für die Wilhelm-Gustloff haben meine Mutter und meine Oma keine Passierscheine bekommen, sonst gäbe es mich ja auch eher nicht.
Die Frauen meiner Familie waren ostpreußisch und spleenig, aber lange nicht so mutig wie Hilde und Lilo in „Fremde Wellen“ die sich von Mief und Konventionen der 50er Jahre befreien, nach vielen Kämpfen und gegen den Zeitgeist. In der Vorstellung hätte ihnen das aber durchaus gefallen!
Meine Familie väterlicherseits
waren alteingesessene Flensburger, keine Fabrikanten mit nationalsozialistischer Vergangenheit und immer noch an ihnen klebender brauner Gesinnung wie Familie Jordt in „Fremde Wellen“, aber auch sie standen wie wohl die meisten Schleswig-Holsteiner den Vertriebenen und Flüchtlingen, und damit auch ihrer Schwiegertochter, skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüber.
„Was da unter der Marke Deutsch in das Reich hineinströmt, ist nicht gerade erheiternd. “
sagte Goebbels 1945.“
Millionen Vertriebene und Flüchtlinge
wurden aus den Siedlungsgebieten im Osten verjagt und drängten in das zerstörte Rest-Deutschland. Für viele Einheimische waren sie keine Landsleute mehr, sondern unerwünschte Fremdlinge. Sie wurden als „Polacken“ beschimpft, obwohl sie doch gerade wegen ihres Deutschseins aus der angestammten Heimat ausgewiesen worden waren. Sie hatten sich nicht aussuchen können, wohin sie kamen. Die Alliierten hatten sich auf bestimmte Kontingente für ihre Besatzungszonen geeinigt und brachten die Vertriebenen dort unter, wo noch Kapazitäten vorhanden schienen.
Meine Familie hatte Glück im Unglück und blieb zusammen. Oma, Opa und Mutti kamen bei einer Flensburgerin unter, die untervermietete. Dort schliefen meine Großeltern in einem winzigen Zimmer und meine Mutter teilte sich sogar das Ehebett mit der Flensburgerin! Alles besser als in einer der berüchtigten Vertriebenensiedlungen zu leben, die es noch in den 1950er Jahren gab und die als „Neukorea“ oder „Bolschewikien“ verspottet wurden. Viele Westdeutsche wollten mit dem Leid der Vertriebenen nicht behelligt werden. Der amerikanische General Charles P. Gross äußerte sich erstaunt über „Gleichgültigkeit und Mangel an Hilfsbereitschaft“ der einheimischen Bevölkerung gegenüber ihren vertriebenen Landsleuten.
Es ist anders und doch so ähnlich. Vieles davon wusste ich nie oder hatte ich vergessen, bis ich im Sommer 2015 im LAGESO aushalf und begann, mich mit Geflüchteten und ihren Geschichten von Flucht und Heimatverlust, von Neuanfang und Sehnsucht zu beschäftigen – und noch einmal neu mit meiner Familiengeschichte. Ende August fahre ich nach Flensburg und recherchiere vor Ort, werde in Archiven stöbern und mit Zeitzeugen (oder ihren Kindern) sprechen.
Schreibt mir bitte, wenn es in Eurer Familie auch Geschichten zum Thema Heimat, Neuanfang, Loslassen, Flucht gibt!
laszlo@hauptsache-geschichten.com
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Mehr zu der Entstehung von „Fremde Wellen“ gibt es hier: Fremde Wellen